Darius Gircys

Der Ameisenkoenig

2011

Eriks Arbeitszimmer erinnerte mich irgendwie an mein Atelier, das ich zu Beginn der neunziger Jahre gemietet habe. Ohne Fenster und mit dicken schalldämmenden Wänden. Wie ein Kopf ohne Ohren und ohne Augen. Auf dem ölverschmierten Teppich steht ein auseinandergeschraubtes Motorrad, der Arbeitstisch ist überladen mit Computerteilen sowie Unmengen von Fachbüchern. Die Wände entlang zählte ich elf Tische mit Glaskästen groß wie Fernseher. Im Inneren der Kästen sind weißliche Kalkfelsen mit eingekratzten Rillen durchbohrt von Löchern zu sehen. In diesen leben Ameisen. Verschiedener Rassen und unterschiedlichen Intellekts. Sozial, mit Friedhöfen am Rande ihres Lebensraums und gut organisierten Einheiten von Soldaten und Arbeitern. In einem separaten Terrarium befinden sich Killerameisen, die skrupellos ihre nächsten Verwandten fressen. Die Felsen hat Erik aus Gips gegossen und jahrelang vervollkommnet mit Gräben, Pfaden und Tunnel. Eines Tages hatte er entschieden, den Bewohnern die Freiheit zu schenken, und brachte einen der Kästen in den Wald und öffnete ihn. Die Ameisen rannten nirgendwo hin, wahrscheinlich hielten sie ihn für einen der ihrigen und ihren einzigen König, der über den jährlichen Generationswechsel wacht, die Wärme reguliert und das Futter bringt. Mein auf ein Terrarium fallender Schatten trieb die Ameisen dazu, sich zu verstecken. Ich hatte Angst vor den Killerameisen und sang Dithyramben dem Ameisenkönig. „Wie meditativ! Wie unerwartet!“, applaudierte unermüdlich mein Mund.